Reisebericht und Friendshiptrail 2014

Reisebericht und Friendshiptrail 2014

1. Bürgerreise zur neuen Tübinger Partnerstadt Moshi in Tansania 20. bis 27. August 2014

20 TeilnehmerInnen:
Ursula, Sybille, Reinhard, Reinhard, Jaqueline, Kurt, Rose, Fred, Safi, Heiner, Madelaine, Anita, Christa, Karla, Berndt-Rüdiger, Bernhard, Thilo, Harald, Ingeborg, Cornelia

Die Idee zu einer Bürgerreise ist bei einem Treffen des bis dahin regelmäßig tagenden AK Moshi im Juli 2013 entstanden. Es folgte eine Einladung im Schwäbischen Tagblatt und ab Sommer 2013 fanden regelmäßige Vorbereitungstreffen statt. Eine erste Pressemitteilung war am 3.12.2013 im Tagblatt zu lesen. Zu dieser Zeit war die Partnerschaft nur beabsichtigt, aber noch nicht offiziell besiegelt. Über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr trafen sich eine Vielzahl von Menschen ca. einmal im Monat im Veranstaltungsraum des Kulturamts und berieten die Vorgehensweise. Langsam kristallisierte sich heraus, dass es nicht nur unterschiedliche Zugänge, Interessen und Kontakte gibt, sondern auch unterschiedliche Reisevorstellungen bezüglich Länge und Inhalten. Wir einigten uns auf eine „Kernzeit“ von einer Woche in Moshi, zu der die gesamte Gruppe anwesend sein wollte, unabhängig davon, wann und wie der bzw. die Einzelne anreisen würde. Auch die Flüge wurden individuell gebucht. Für den verabredeten Zeitraum begannen wir Ideen zu sammeln und Aktivitäten zu planen. Während die Abreise immer näher rückte, hielten nicht alle Kontakte, was sie versprachen oder ein bestehender Kontakt riss ab, so dass wir bei Abreise nicht genau wussten, was funktionieren würde und was nicht. Die Erfahreneren unter uns meinten aber immer, dass sich alles ergeben würde, wenn wir erst vor Ort wären. Und genau so kam es dann auch. Unser Programm war so dicht, dass wir nicht einen weiteren Termin hätten unterbringen können!

Da staunte der Fahrer des Flughafenbusses nicht schlecht, als der größte Teil der Reisegruppe gemeinsam zum Stuttgarter Flughafen fuhr. In der Nacht vom 20. Zum 21. August erreichten wir gegen 2 Uhr den internationalen Kilimanjaro Airport, und wir fuhren mit einem Minibus, den die Agentur der Kilimajaro-Besteiger organisiert hat, in unser gemeinsames Hotel Kindoroko, ein vierstöckiges, einfaches, tansanisch geführtes Hotel mit einer luftigen Dachterrasse von der wir immer wieder einen herrlichen Blick auf den Kibo-Gipfel (5895 m) des Kilimanjaro-Massivs hatten. Sofort erhob sich eine Reihe von in roten Decken gehüllten Massai-Wächtern, um unsere Koffer nach oben zu tragen. Die erste ungewohnte Situation war zu meistern: Wie verhalte ich mich, wie viel Trinkgeld gebe ich, sind US Dollars angebracht, denn wir hatten noch keine Gelegenheit, Geld zu tauschen. Irgendwie schulterten alle die Situation und versuchten in der ungewohnten Umgebung einige Stunden zu schlafen. Natürlich weckten uns viel zu früh irgendein lange vor Sonnenaufgang krähender Hahn, ein Muezzin, der Stromgenerator oder einfach Autos. Das erste Frühstück auf der Dachterrasse war dann eine erfreuliche Überraschung, wir sahen den Kilimanjaro mit Kibo und Mawenzi, dem östlichen Nebengipfel. Christa, Madeleine und Fred wollten ihn in der zweiten Woche bezwingen und hatten sicherlich gemischte Gefühle bei dessen Anblick. Leider war Madeleines Gepäck irgendwo in Istanbul steckengeblieben mitsamt ihrer Bergsteigerausrüstung, den Gipfelkeksen und vielem mehr. Auch Kurt, der einen Tag später allein flog, ging zunächst in Istanbul verloren, was wir erst erfuhren, als in der Nacht für ihn ein Abholtaxi bestellt werden sollte. Aber wo war er und wann kommt er? Das Rätselraten wurde erst mit seiner Ankunft in der nächsten Nacht beendet. Istanbul hat offensichtlich eine große Anziehungskraft.

Der erste Tag, ein Donnerstag, sollte der Eingewöhnung dienen und dazu benötigten wir ihn auch wirklich. Geld zu tauschen und gar tansanische Simcards fürs deutsche Mobiltelefon zu besorgen war durchaus ein Erlebnis. Sämtliche flycatcher schienen am unscheinbaren Hotelausgang auf neu angekommene ‚wazungu‘ zu warten und alle versuchten gleichzeitig ein Geschäft zu machen und uns in entsprechende Lädchen zu locken, wo sie wahrscheinlich kleine Provisionen erhalten. Jedenfalls kam eine Gruppe der Teilnehmer ziemlich überrumpelt wieder in den Schutz des Kindoroko zurück, zwar mit Simcards, aber keineswegs immer mit dem darauf angezeigten Guthaben in tansanischen Schillingen (TSH). Das fehlende Guthaben wurde jedoch sofort reklamiert und dann ohne Probleme gutgeschrieben. Safi und Fred brachten sich kleine Fleischspießchen von der Straßenküche mit und verzehrten sie gelassen im Hof. Ingeborg, die schon einige Zeit zuvor mit einer Reutlinger Gruppe unterwegs war, die in Massai-Dörfern Wassertanks errichtete, stieß zu uns, auch schon mit afrikanischer Gelassenheit ausgerüstet. Pole pole ist der Begriff für langsames Vorgehen, langsame Entscheidungen, auch für unsere Gruppenprozesse.

Wir entschieden uns für einen gemeinsamen Lunch im afrikanisch dekorierten Hotelrestaurant im Erdgeschoss und meldeten diesen an. Allerdings hatte die Küche lange zu tun mit so vielen Gästen und wir waren bis zum Nachmittag beschäftigt. In der Wartezeit gab es auch ein Geburtstagsliedchen für Thilo.

Von dort rief ich Mama Moshi von der Midlands Lodge an und bat sie um ein Treffen, da der Emailkontakt zwischenzeitlich verlorengegangen war. Sie war unsere Ansprechpartnerin für den in der zweiten Woche von 14 TeilnehmerInnen geplanten Kilimanjaro Friendship Trail1, den Ernst Schumacher und Hans-Jörg Bahmüller ausgearbeitet hatten. Sie kam um 16 Uhr fast zusammen mit meinem „Mittagessen“. Die Begrüßung war herzlich und wir stiegen sogleich in die Feinplanung der Kurzwanderung (3 Nächte) und der Trekkingtour (6 Nächte) ein. Ihre Email mit der Auflistung der einzelnen Preispositionen war bei mir nie angekommen, sie zeigte sie mir jedoch auf ihrer Ausgangsbox (oder war es die Entwurfsbox?). Mama Moshi (eine durchaus übliche Anrede, wenn eine Frau in einem Alter ist, wo sie Kinder und sogar Enkel hat und kein ungewöhnlicher Name, bedeutet ‚moshi‘ doch ‚Rauch‘ und den gibt es überall) machte einen sehr engagierten Eindruck und plante für den Montag eine Reise zu allen Gästehäusern auf unseren beiden Touren. Sie wollte das Geld für Übernachtung und Verpflegung dort jeweils selbst übergeben und dabei auch mit den Köchinnen vor Ort das Essen für uns besprechen und was unser tägliches Lunchpaket am besten enthalten sollte. Aus diesem Grund wollte sie gern am Sonntagabend um 21 Uhr eine erste Rate von ca. 2600 USD abholen. Das bedeutete natürlich, dass dieser Teilbetrag zunächst ermittelt und dann von allen eingesammelt werden musste.

Das Hotel Kindoroko eröffnete uns allerdings, dass am Freitag eine andere Gruppe käme und wir nicht alle Platz hätten. Erneutes Gruppenpalaver mit dem Ergebnis: Wir werden alle nach zwei Nächten und mithilfe von drei Gepäcktaxis in das nicht weit entfernte Hotel Zebra umziehen, das auf den ersten Blick neuer und besser erscheint, aber insgesamt weniger sorgfältig geführt ist und vor allem außer dem Restaurant keinen geeigneten Raum für Gruppentreffen hat. Die Dachterrasse auf dem 6. Stock wird für Wassertanks und zum Trocknen von Wäsche genutzt, wie ungeschickt, der Konferenzraum im obersten Geschoss ist für uns nur gegen zusätzliche Bezahlung zugänglich. Wegen der hohen Einzelzimmerpreise (45 statt zuvor 25 USD) taten sich viele in Doppelzimmern zusammen und alle bedauerten den „Verlust“ der Dachterrasse auf dem Kindoroko.

Das konnte natürlich so nicht bleiben, auch ein briefing mit James, unserem Guide für die Trekkingtour musste ja in einem geeigneten Raum stattfinden. Und so besprach ich mit der Hotelrezeption des Kindoroko, dass wir gern weiter die Dachterrasse nutzen würden. „Wollen Sie auch essen“, war deren Frage und ab da wohnten wir quasi an zwei Orten und jedes Mal wurde die Freude größer, wenn wir zu Besuch kamen, auch die Massai-Wächter erkannten uns, wenn wir abends kamen oder gingen, und wir begannen, uns heimischer zu fühlen.

Natürlich haben viele auch an anderen Orten gegessen, besonders auch mittags. Es gab viele Möglichkeiten und gleichzeitig war das Essen außerhalb der Hotels billiger und afrikanischer, meist ab 3000 TSH, also ab 1,30 EUR, aber ein Bierchen auf unserer Dachterrasse war einfach wunderschön. Den ersten Tag beschlossen wir mit einem Überblick über unser Wochenprogramm und fielen danach alle müde in unsere Betten.

Freitag, 22. August 2014 – Besuch im KARANGA TECHNICAL TRAINING CENTRE

Nach dem Umzug ins Hotel Zebra führt uns unser erster Besuch in eine von der katholischen Kirche geführte Berufsschule für 15-24 jährige Schüler, die teilweise privat durch Freunde der Schule unterstützt wird und Mädchen und Jungen eine Ausbildung zum Schreiner, Elektriker, Schweißer, Maurer und Installateur anbietet. Auch Näherinnen werden ausgebildet und es werden Computerkurse angeboten. Reinhard pflegt diesen Kontakt schon längere Zeit und hat vor einem Jahr einen Scheck über 773,10 Euro überreicht, der in großer Kopie im Raum des Schulleiters, Pater Cyrill, hängt. Die ca. 300 Schüler, darunter 46 Mädchen, bezahlen 750.000 TSH Schuldgeld im Jahr (ca. 330 EUR) und erhalten dafür auch ein Mittagessen. 16 Lehrer, teilweise bereits in dieser Schule ausgebildete ehemalige Schüler, die sich in Nachmittags- und Abendkursen fortgebildet und eine Prüfung abgelegt haben, bilden die SchülerInnen aus. Die Berufsschule steht Angehörigen aller Religionen offen. Der Staat schreibt als Unterrichtssprache Kisuaheli vor, Bücher jedoch gibt es fast nur auf Englisch. Pater Cyrill betont, dass Mädchen mit einer Ausbildung zur Elektrikerin sehr gern im Job gesehen sind, da sie „klar und fokussiert“ seien. Die Installateure werden sogar von einer Lehrerin ausgebildet. Das Schuljahr beginnt im Januar, Zulassungsprüfungen finden im September statt und die Schüler haben je einen Monat Ferien im Juni und im Dezember und je eine Woche im April und September. Die Schule gehört dem RVTD an, einem regionalen Zusammenschluss von Berufsschulen. Wir dürfen uns alle Bereiche ansehen und mit den Schülern sprechen. Wir beobachten, wie Kirchengestühl geschreinert wird, Schweißverbindungen geübt werden, die Größe verschiedener Kleidungsstücke berechnet wird und gehen in einen großen Raum, wo alle Schüler theoretischen Unterricht erhalten und entweder für sich allein oder in Gruppen Aufgaben lösen. Dort überreichen wir auch einige Geschenke, ein Buch über Tübingen, einen Kalender, einen Ball und einige Kulis. Lehrer und Schüler bedanken sich und drücken uns ihre Hoffnung auf eine lang andauernde Kooperation aus. Natürlich tragen wir uns auch in das Gästebuch der Schule ein. Die Schule betreibt – wie die meisten Schulen – auch einen Schulgarten. Dort wird Mais und Gemüse zur Selbstversorgung angebaut, um die Kosten gering zu halten. Zum Schluss gehen wir noch in die kleine Küche, wo zwei Köchinnen das Schulessen für alle vorbereiten. Es gibt Ugali (Maisbrei, schmeckt wie Polenta, aber weniger gewürzt) und eine Fleisch-Gemüsesoße, vielleicht auch Obst.

Auch wir denken an einen Lunch und lassen uns von den 4 Taxis (zum Teil quetschen sich 4 Leute auf die Rückbank, wer auf den Beifahrersitz darf hat Glück!), die wir noch öfter rufen und die mit der Zeit zu ‚unseren‘ Taxis werden, in den Uhuru-Park fahren. Wir gelangen an einen ruhigen, grünen Ort, fünf Minuten vom Busbahnhof und vom Clock tower entfernt, wo wir uns verschiedene Gerichte an ca. 15 Essensständen aussuchen und in der Mitte an kleinen Tischen im Schatten verzehren. Das Essen der Mamas ist sehr lecker, der Tee auch und das Personal an diesem Ort sehr freundlich. Es gibt kleine Currys, Nudeln, Reis, Kartoffeln, Ugali, Gemüse, Fleisch und sogar Fisch. Das Essen kostet zwischen 3000 und 6000 TSH.

Gestärkt lassen wir uns von unseren wartenden Taxis zur BENDEL MEMORIAL SECONDARY SCHOOL2 fahren. Das Motto der Schule lautet: „Education ist the Light of Life“. Father Meles Mlingi, Headmaster der Schule seit ihrer Gründung im Jahr 2005, erzählt uns einige Details: Es werden 860 Schüler, darunter 90 Mädchen, unterrichtet, das Schulgeld beträgt 1-2 Mio. TSH pro Jahr, womit klar wird, dass diese Schule sich als Eliteschule begreift. Das wird auch durch die sehr erfolgreichen Abschlüsse im Vergleich mit den anderen 3300 Gymnasien Tansanias deutlich, denn die Schule hat innerhalb der letzten 10 Jahre den 65. Platz belegen können. Die Schule wird als Internat geführt und steht Schülern aller Religionen offen, solange sie sich anpassen. Es gibt 4-5% Muslime. Die Schulsprache ist Englisch, woran kleine Tafeln auch überall erinnern. Im September finden die Eingangsprüfungen für 185 neu aufzunehmende SchülerInnen statt, die unter mehr als 1000 BewerberInnenn aus dem gesamten Land ausgewählt werden. Manchmal sammeln Gemeinden das Schulgeld für begabte, aber mittellose Schüler oder diese bekommen kleine, später rückzahlbare Kredite. Wir besichtigen Schlaf- und Klassenräume verschiedener Altersstufen. Die Ausstattung ist einfach und zweckmäßig, es gibt einen Computerraum und einen Sportplatz, ein weiteres Gebäude wird gerade errichtet. Auch diese Schule betreibt einen Schulgarten und einen ‚Wisdom-Garden‘. Zu unseren Ehren oder auch, weil es Freitagnachmittag ist und damit die Unterrichtswoche endet, kommen sämtliche Schüler in den großen Hof und stellen sich klassenweise hintereinander auf. Ein Mädchen geht nach vorn ans Mikrofon und beginnt anscheinend ein Gebet, die Schüler antworten im Chor. Danach singen sie – für uns? – ihr Schullied. Wir bedanken uns spontan mit ‚Geh aus mein Herz und suche Freud‘, ein Lied, das die deutschen Missionare in Tansanias Gesangbüchern verankert haben und das allgemein bekannt ist. Auch einige kleinere Geschenke hatten wir bei einer Stärkung mit Getränken und Erdnüssen bereits übergeben, wo wir uns auch in das Gästebuch eingetragen haben. Es bleibt nach dem Besuch ein starker Eindruck vom Ehrgeiz der Schulleitung und ein vager vom Drill der Schülerinnen und Schüler, die auch sämtliche Wochenenden in ihrer Schule verbringen müssen.

Samstag 23. August 2014 – BESUCH BEIM LORD MAYOR VON MOSHI UND DER STADTVERWALTUNG

Beim Frühstück treffen wir Kurt, er ist glücklich angekommen und hat seinen unverhofften und nicht ganz freiwilligen Ausflug nach Istanbul genossen.

Wir rüsten wir uns für einen langen Tag, denn wir sind beim Lord Mayor der Stadt Moshi, der Stadtverwaltung und anschließend zu einer Hochzeit eingeladen und haben keine Gelegenheit mehr, ins ‚Zebra‘ zurückzukehren und uns frischzumachen. Und – oh Wunder – alle scheinen ein paar feine Kleidungsstücke im Gepäck zu haben, sogar Lippenstift und Nagellack blitzen auf, Sandalen lösen das ansonsten gröbere Schuhwerk ab und auch die Herren haben sich fesch gemacht.

Wir warten in einem unterkühlten Raum auf die Audienz beim Lord Mayor J.R. Michael, wo wir uns in ein Gästebuch eintragen. Dann werden wir in sein Büro geführt, wo er mit sehr ernster Miene repräsentiert. Sein Schreibtisch ist merkwürdigerweise mit einer tansanischen und einer amerikanischen Flagge geschmückt und mit zwei Plakaten, die Tübinger Türen und Türme zeigen. Wieder tragen wir uns in ein Gästebuch ein, die hier offensichtlich einen hohen Stellenwert haben. Berndt-Rüdiger und Reinhard haben sich gut vorbereitet und sind mit einem offiziellen Grußbrief unseres OB Boris Palmer ausgestattet, den Reinhard nun verliest. Anschließend erinnert Berndt in seiner Rede an die deutsche Kolonialzeit, den 1. Weltkrieg, den Bau der Eisenbahn mit Station in Moshi (leider nicht mehr in Betrieb), die Missionare Johann Ludwig Krapf (1810-1887) aus Derendingen und Johannes Rebmann (1820-1876) aus Gerlingen, die zusammen den Kilimanjaro für Europäer ‚entdeckten‘ und denen man in der Heimat nicht glaubte, dass auf seiner Spitze Schnee liegt. Berndt erinnert an viele historische Verbindungen, z.B. dass Ludwig Krapf 1850 die erste Grammatik auf Kisuaheli veröffentlichte und 1882 ein Wörterbuch3. 1844 übersetzte er Teile der Bibel in Kiswahili und legte damit den Grundstein für Kisuaheli als Verkehrs- und Literatursprache Ostafrikas (Wikipedia). Berndt erwähnt auch den Moshi-Kaffee, den offiziellen Kaffee der Stadt Tübingen, der allen Gästen angeboten wird, auch dem tansanischen Botschafter bei seinem Besuch im Juli. Er erklärt, wir Bürger der Stadt Tübingen wollen lernen, wollen Menschen treffen, werden in Schulen gehen und an einer Hochzeit teilnehmen.

Der Lord Mayor antwortet, er sei nach Tübingen gereist und an einer starken, dauerhaften Partnerschaft interessiert. Die Partnerschaft sei die stärkste unter den bestehenden mit anderen Städten und sei mehr als nur ein Partnerschaftsvertrag, zudem fuße sie auf historischen Verbindungen. Danach werden wir in den großen Sitzungssaal der Stadtverwaltung gebeten, wo wir im mittleren Ring der fest installierten Holzbänke mit Tischen Platz nehmen. In einem äußeren Ring um uns herum sitzen mindestens 30 Personen und es ist nicht völlig klar, ob dies Stadtverordnete sind oder eher Verwaltungsangestellte, darunter viele Abteilungsleiter und deren Referenten. Alle Männer und Frauen stellen sich mit ihrer Funktion vor. Alle Vertreter sind eigens für uns an diesem Samstag erschienen, denn normalerweise wird am Wochenende nicht gearbeitet.

Auch wir werden um eine kurze Vorstellung gebeten und so hat jeder von uns Gelegenheit seinen persönlichen Bezug zu dieser Reise zu benennen. Manche stellen sich sogar auf Kisuaheli vor und wir merken, dass die Aufmerksamkeit und die Achtung vor unserer großen Delegation steigen. Reinhard erzählt, dass seine Frau aus dem Volk der am Kilimanjaro siedelnden Chagga stammt, Bernhard erzählt vom Besuch des tansanischen Botschafters in Tübingen, Heiner von seiner Zeit als Arzt in der Küstenstadt Tanga vor 35 Jahren, Kurt stellt sich als Künstler vor und wird später gefragt, ob er nicht ein Logo für die Partnerschaft entwerfen könne.

Der Lord Mayor hält eine Rede und hebt besonders anerkennend die deutsch-tansanische Partnerschaft seit der Kolonialzeit hervor und dass wir die Kolonialzeit in der vorherigen Rede in seinem Amtszimmer nicht unerwähnt gelassen haben. Er wünscht sich noch weitere Partnerschaften über den Moshi-Kaffee hinaus, z.B. werden Sponsoren gesucht für ein Müll-Recyclingprojekt. Interessanterweise betont er auch, dass Moshi eine friedliche Stadt ist und wir uns frei bewegen können. Auf uns wirkt der Lord Mayor sehr ernst und auf Repräsentation bedacht, er verzieht auch hier keine Miene.

Ganz anders dagegen sein Stadtdirektor Shaaban A. Ntarambe, der sich freundlich, zugewandt und geradezu locker gibt.

Dann überreichen Reinhard und Berndt unsere Gastgeschenke, einen Stick mit Tübingen-Infos, Kalender, Flyer und Kurts Buch mit seinen gemalten Bildern aus Tübingen und der Region. Ich habe den Eindruck, dass Moshi nun alles über Tübingen besitzt und die nächste Delegation sich andere Geschenke ausdenken muss.

Es folgen drei sehr gut vorbereitete, in gutem Englisch präsentierte und durchaus interessante Powerpoint-Vorträge, die wir auf einem Stick mitgebracht haben und zur Verfügung stellen können. Es ging um die Struktur der Stadtverwaltung, wobei mir besonders auffiel, dass die zweite der vier Hauptabteilungen (standing committee) gleich nach der Finanzabteilung die Abteilung AIDS/HIV ist. Später konnte ich dazu Christopher, unseren Kontakt in die Stadtverwaltung von Moshi befragen, der sagte, dass das Thema nicht mehr so stark im Vordergrund stehe, seit es bezahlbare Medikamente für Aidskranke und auch Schwangere gäbe, auch die Zahl der Aidswaisen sinke, aber Private würden dennoch mit Waisenhäusern vor allem um Spendengelder werben. Der Kontakt zwischen der Universität Hohenheim und Moshi wurde erwähnt: Die Stadt Tübingen hatte den Kontakt zur Uni Hohenheim in Gang gesetzt, denn eine Machbarkeitsstudie mit positivem Ausgang war die Voraussetzung für die Stadt und die Stadtwerke Tübingen, sich für den Bau einer Biogasanlage in Moshi zu engagieren. Eine Biogasanlage sei deshalb von hoher Priorität, weil auf der Müllkippe kein Platz mehr sei und auch keine Ausweichmöglichkeit für einen weiteren Müllplatz bestünde.

Im zweiten Vortrag ging es um Stadtentwicklung (urban development). Moshi hat seit 1911 eine Eisenbahn, die die deutschen Kolonialherren gebaut haben, seit 1926 hat die Stadt den Status als ‚township‘ und seit 1956 Stadtrechte (town council). 1988 wurde das Stadtgebiet von 23 auf 58 km² erweitert und 2015 wird eine Anhebung auf den city status erwartet, der eine dreimal so große Fläche umfassen und mit zusätzlichen Zuwendungen vom Staat einhergehen wird. 2012 zählte Moshi 184.000 Einwohner. Tagsüber verdreifacht sich dir Zahl durch Pendler.

Die Stadtplanung erfolgt in 6 Stufen von der Überblicks- bis zur Feinplanung. Das General Planning Scheme ist jeweils gültig für 20 Jahre und wird gerade aktualisiert. Im CBD (central business district) sind z.B. Bauten mit acht Etagen möglich. Hier geht es auch um ein Upgrading, der Verbesserung und Aufwertung von informellen Siedlungen. Ein Problem stellen die fehlenden Steuereinnahmen dar, denn 63% aller Menschen arbeiten im informellen Sektor, d.h. sie sind selbständig (self-employed), sind nirgends erfasst und entgehen daher der Steuer.

Vorgestellt werden im dritten Vortrag auch eine Reihe von investment opportunities im Bereich Housing, Hotels und Trade in 10 dafür ausgewiesenen Gebieten, die entwickelt werden sollen.3

Im Anschluss an die Vorträge werden alle Gäste und Vertreter der Stadt zu einem leckeren Mittagessen eingeladen, das wir uns am Buffet holen und im Sitzungssaal verspeisen. Auf der Damentoilette entwickeln sich beim Warten derart interessante Gespräche, dass wir sie gar nicht unterbrechen wollen. Die meisten zeigen sich interessiert und gesprächsbereit.

Bernhard bewundert die muslimische Kopfbedeckung eines Stadtvertreters, offensichtlich ein Muslim, und erhält am nächsten Tag ein Päckchen ins Hotel geschickt mit einem weißen Gewand und einer weißen bestickten Kopfbedeckung, einer Kofia, als Geschenk! Beides kann er nun seinen KisuaheliSchülern bei der VHS zeigen. Nach dem unverhofften Lunch singen wir zum Dank ‚Geh aus mein Herz‘, das viele mitsingen, und das von Anne Tübinger geschriebene Lied „Inawezekana…-„Es ist möglich eine neue Welt zu bauen“ auf Suaheli, woraufhin alle begeistert klatschen und wir anscheinend das Eis gebrochen haben.

Wir spüren, dass die Stadt Erwartungen an uns, die Bürger von Tübingen hat, die wir aber nicht erfüllen können, schließlich ist dies eine Reise von Zivilgesellschaft zu Zivilgesellschaft. Das Ziel einer Partnerschaft zwischen den Städten sollte die Kooperation auf mehreren Ebenen sein.

23. August 2014 – EINLADUNG ZU EINER HOCHZEIT DER CHAGGA

Alle haben wir uns darauf gefreut und begeben uns nun zu Fuß – aus den angekündigten 10 Minuten Fußweg wird allerdings eine halbe Stunde in der Mittagshitze (ja, es war wirklich so lang) und wir vermissen unsere Taxis – zur großen katholischen Kirche, wo uns ein sehr schön singender Kirchenchor tanzend in die Kirche begleitet. Jaqueline und Reinhard haben die ganze Gruppe schon in Tübingen zur Hochzeit von Jackys Bruder John Upendo eingeladen und nun zieht das Brautpaar von Gesang begleitet ein und pünktlich um 14 Uhr beginnt der Gottesdienst. Orange und braun sind die gewählten Farben für die Kleidung der Gäste, die obwohl geheim gehalten, sich herumgesprochen haben. Und so erscheint Mary, die Braut in einem prächtigen weißen Kleid mit Schleppe, Steckfrisur, eingearbeiteten Blümchen und einem orangenen Blumenstrauß, der Bräutigam in dunklem Anzug und orangefarbenem Hemd. Die meisten Gäste haben etwas in orange angezogen oder tragen eine orangefarbene Tasche, die Brautjungfern sind in orange mit brauner Schärpe und andere in braun mit oranger Schärpe gekleidet. Zu Beginn des Gottesdienstes sitze ich in einer der mittleren Reihen noch ganz allein, aber langsam füllt sich die große Kirche und bald bin ich von tansanischen Hochzeitsgästen umringt. Die Hochzeitszeremonie verläuft ähnlich wie bei uns, die Jaworte werden am Altar gesprochen mit jeweils einem Trauzeugen an der Seite von Braut und Bräutigam. Wir hören eine Predigt auf Kisuaheli und immer wieder wird gesungen.

Nach der Kirche werden alle erdenklichen Gruppierungen fotografiert, man unterhält sich und alle lassen sich sehr viel Zeit. Irgendwann erscheinen vier Busse und Dalla-Dallas, auch netterweise eines für uns, und bringen uns nach einem Autokorso durch die Innenstadt zum Ort der Feier, einem großen, reich in braun und orange geschmückten Zelt. Das allerdings sehen wir erst Stunden später, denn es gab wohl ein Missverständnis, der Festsaal öffnet nämlich erst um 19 Uhr. Wir wissen dies zunächst nicht, ein Gerücht, dass die Musik noch fehle, macht die Runde. Für Braut und Bräutigam beginnt eine bedauernswerte Zeit des Wartens in ihrem Auto, wo die Braut eingezwängt zwischen Bräutigam und einem Verwandten stundenlang auf dem Rücksitz ausharren muss, denn der Einzug des Brautpaares kann erst erfolgen, wenn alle Gäste im Festsaal sitzen, der Zeremonienmeister die Stimmung allgemein gehoben hat und sie angemessen begrüßt werden können. Wir nutzen die Zeit und setzen uns in den Garten des Festsaals und erfrischen uns mit einem Getränk.

Dann endlich beginnt das Fest, wir Gäste tanzen in den Festsaal, der Zeremonienmeister lockert die Stimmung, es gibt Getränke, auch Bier, und dann zieht das Brautpaar ein und nimmt Platz auf dem geschmückten Podium. Es werden Fleischhäppchen gereicht, auch Suppe, die Gäste werden vorgestellt und formieren sich jeweils in Gruppen zu einem weiteren getanzten Einzug in das Zelt, immer wieder gibt es Musikeinlagen und es darf getanzt werden. Wir beteiligen uns rege.

Quer zum Podium sitzen links und rechts die Eltern von Brautpaar und Braut auf herausgehobenen Plätzen. Jaqueline hat die Gastgeberrolle übernommen, geleitet Gäste zu ihren Plätzen, scherzt und spricht mit jedem Gast, glättet, organisiert und ist der gute Geist des Festes. Sie wird ganz offensichtlich sehr respektiert. Im Verlauf der Zeremonie wird die ‚Hochzeitstorte‘ aufgefahren, anders als bei uns handelt es sich jedoch um eine im ganzen gebratene und mit Orangenscheiben und anderem geschmückte große Ziege mit Kopf, die das Brautpaar mit einem großen Messer anschneiden muss. Wir sind beeindruckt. Alle bekommen ein erstes Häppchen, dann kommt der Küchenchef und zerteilt das Fleisch, das dem Buffet zugeführt wird.

Alle tansanischen Gäste sind uns gegenüber sehr offen und nehmen unser noch eher mäßiges Singen freundlich auf (Lampenfieber?). Wir singen „Amazing graze“, “Heute hier morgen dort” und „Inawezekana“. Auch die Hochzeitsgeschenke werden von den einzelnen Familiengruppen und von uns tanzend übergeben. Unser Gastgeschenk ist ein Geldbeitrag zur Hochzeit und ein Gruppenfoto sowie eines von Kurts schönen Kunstbüchern, die auch ohne Sprachkenntnisse bewundert werden können. Bei der langen Prozedur der Geschenkeübergabe pusten wir von der Treppe her Seifenblasen ins Geschehen und übergeben dann an drei Kinder, die sich redlich bemühen, viele Blasen zu produzieren. Für das Brautpaar und für uns geht ein ereignisreicher Tag mit einigen weiteren Tänzen zu Ende.

Sonntag 24. August 2014 – EVANGELISCHER GOTTESDIENST IN EINEM MASSAIDORF

Noch ganz erfüllt von der schönen Hochzeitsfeier besteigen wir um 8 Uhr morgens einen Minibus, den uns der Sohn des Bezirkskantors Aisario Mrema vermittelt hat. Aisario kennen diejenigen bereits, die sich der Singgruppe angeschlossen haben, denn er hat uns im Juli in Tübingen besucht und uns drei Choräle genannt, die wir gemeinsam mit der Gemeinde singen wollen. Nach wie vor finde ich es bemerkenswert, dass diese Lieder von den alten Missionaren ins Kisuaheli übersetzt und in Tansania eingeführt wurden, noch heute in beiden Ländern im Gesangbuch stehen und so von uns gemeinsam gesungen werden können. Den Kontakt hat Heiner hergestellt und gepflegt und Aisario war auch dessen Gast in Tübingen.

Susanne Frische von Afrikor (http://www.afrikor.de) aus Tübingen steigt zu. Sie sammelt Chormusik aus verschiedenen Ländern Afrikas, die sie ihrem Chor zugänglich macht und in Begegnungen mit afrikanischen Musikern aufführt.

Wir fahren in Richtung Südwesten aus Moshi hinaus in die Massaisteppe, halten kurz in einer Siedlung mitten in einer riesigen Zuckerrohrplantage, die Schweizern und Südafrikanern gehört und in der auch viele Massai arbeiten, passieren die Mining Mountains, wo der hellblaue Tansanit4 gewonnen wird und erreichen nach ca. eineinhalb Stunden den von Aisario ausgesuchten Ort, wo der Gottesdienst stattfinden soll.

Im Massai-Dorf werden wir herzlich von Frauen begrüßt und in eine kleine umzäunte Schule geleitet, wo wir uns zuerst die Hände waschen dürfen und dann mit Tee, Kaffee , Sandwiches und Erdnüssen bewirtet werden, bevor wir die gegenüber liegende kleine und einfache Kirche betreten. Dort hat man für uns quer zum Altar auf der linken Seite drei Holzbänke aufgestellt. Wir sitzen einem etwa 40 Leute umfassenden gleich gekleideten Chor von Männern, Frauen und Kindern aller Altersstufen gegenüber, die schon zu Beginn wunderschön singen und sich dabei rhythmisch bewegen. Ich beobachte: Wir 20 und diese 40 Menschen benötigen die gleiche Anzahl von Bänken. Das ist eine sehr schöne Begrüßung während sich die Kirche mit etwa 200 Menschen füllt und weitere von außen durch die Fenster hineinschauen. Es ist ein Tag der Chöre und viele Kirchenbesucher und Chöre sind extra aus benachbarten Dörfern gekommen, die meisten sicherlich zu Fuß, und haben sich ihre Sonntagskleider angezogen. Auch die Kirchenbesucher sitzen gemischt: Frauen, Männer und Kinder jeden Alters, auch Babys sind dabei und werden kurzerhand gestillt und dann weitergegeben zu irgendeiner Verwandten, damit die Mutter sich wieder dem Chorgesang widmen kann.

Aisario Mrema und der Gemeindepfarrer gestalten gemeinsam den Gottesdienst, wobei deutlich wird, das Aisario eine Ehrenstellung einnimmt und die Predigt halten darf. Der Gemeindepfarrer nennt ihn mehrfach ‚mwalimu‘, d.h. Lehrer. So wurde auch der ehemalige Staatspräsident Nyerere ehrfürchtig genannt. Natürlich verstehen die meisten von uns Lesung und Predigt auf Kisuaheli nicht, aber es herrscht eine hohe Aufmerksamkeit bei den Gemeindemitgliedern und Aisario, ein großgewachsener Mann mit Haltung und im weißen Gewand, hält die Gemeinde in seinem Bann. Die Gemeinde antwortet ihm mehrmals und es wird auch gelacht. Die Predigt von Aisario geht über „Haki ya Mungu“ – das „Recht Gottes“ und „Haki ya Watu“ – zwischenmenschliches Recht, also z.B. das Recht der Frauen gegenüber ihren Ehemännern.

Als Heiner und ich Aisario am nächsten Tag vor unserem Hotel in Moshi treffen, erzählt er, dass er den Männern auch nahegelegt habe, ihre Frauen respektvoll zu behandeln. Ich hatte den Eindruck, dass die Sonntagspredigt großen Einfluss auf die Menschen hat, die normalerweise keine Schule besucht haben und gewohnt sind, sich Gehörtes einzuprägen. Nach der Predigt gibt man den Nachbarn die Hand, was auch von den Tansaniern eifrig gegenüber uns Europäern genutzt wurde.

Der Gottesdienst wird immer wieder von anderen kleineren Chören, Gesängen, gesungenen Szenen und durch eine Tanzgruppe mit einer großen Maske untergliedert. Dann werden die Spenden erbeten, eine für die Gemeinde und eine weitere für die Kirche. Die Spenden wurden öffentlich tanzend in der Kirchenmitte in einen Korb gegeben oder in einem nummerierten Papiertütchen abgegeben. Wir kommen wieder einmal in die Situation, eine passende Entscheidung zu treffen, Gemurmel und Geraune. Heiner steckt einen größeren Betrag von TSH in einen Umschlag und gibt ihn direkt Aisario zusammen mit einer schönen Kerze für die Kirche.

Nach einer kleinen Ansprache von Heiner auf Kisuaheli singen wir zuerst ‚Geh aus mein Herz‘, dann auf Kisuaheli ‚Inawezekana‘ und ein Kinderlied über den Kilimanjaro, danach den Kanon ‚Hejo, spann den Wagen an‘. Wir ernten begeisterten Applaus und freundliche Gesichter, aber vermutlich auch Verwunderung darüber, dass wir Blätter mit Texten und Noten benötigen, wo doch alle Afrikaner auswendig und fehlerlos singen und sich dabei im Rhythmus bewegen, während wir ruhig bleiben. Während des Gottesdienstes werden auch die drei vorbereiteten Choräle gemeinsam gesungen (‚Du meine Seele singe‘ etc.). Zum Abschluss nach mehr als zweieinhalb wie im Flug vergangenen Stunden singen wird gemeinsam auf Kisuaheli die Nationalhymne ‚Gott schütze Afrika/Gott schütze Tansania. Ich denke, das war für uns alle ein sehr intensiver Moment, denn durch das gemeinsame Singen gelang etwas, was nicht durch Worte herbeizuführen ist, eine Begegnung auf einer gemeinsamen Ebene, die alles andere wie Armut, Reichtum, kulturelle Unterschiede, Bildung ausblenden konnte. Die Massai und wir staunen gleichermaßen. Von diesem Erlebnis einem gemeinsam gefeierten Gottesdienstes werden nicht nur die Massai ihren Enkeln erzählen, sondern genauso wir 20 ‚wazungu‘.

Nach dem Gottesdienst spricht uns beim Verlassen der Kirche eine alte Frau auf Deutsch an. Sie war vor 2 Jahren mit der Gemeindedelegation in Leipzig-Marienberg. Von dort aus werden immer noch viele Gemeinden unterstützt.

Draußen tanzt eine Kindergruppe, alle Kirchenbesucher bilden einen riesigen Kreis auf dem staubigen Platz vor der Kirche, singen, tanzen, reden. Die Musik besteht aus selbstgebauten Instrumenten wie einer Rassel, einem Regenrohr und einer geriffelten Limonadenflasche. Unter einem trockenen Baum (einer Akazie? Wer erinnert sich?) steht eine Gruppe junger Massai und ‚tanzt‘. Während einer der Männer so oft in die Höhe springt, wie seine Kraft reicht, machen drei andere dazu Geräusche, die ans Bauchreden erinnern. Hört der Springer auf, endet das begleitende Geräusch sofort. Es ist wohl ein Wettbewerb und wir dürfen zusehen.

Danach werden wir zu einem Mittagessen eingeladen. Nach dem Händewaschen gehen wir zu den aufgereihten Schüsseln mit Reis, Nudeln, Gemüse- bzw. Fleischsoße, Melonen und Bananen. Das Essen schmeckt immer lecker. Anschließend dürfen die Gäste der Gemeinde essen, die von weiter her gekommen sind. Auf dem Boden sitzen einzelne Kinder und schauen uns an.

Vor der Abfahrt haben wir uns gefragt, wie eine solche Veranstaltung wohl sein mag. Wir alle waren positiv überrascht, wie verbindend gemeinsames Singen in einem Gottesdienst sein kann. Interesse und Respekt sind möglich, auch wenn die Kulturen und Voraussetzungen derart unterschiedlich sind.

Als wir abfahren wollen, warten wir noch eine Weile auf Susanne Frische, die sich noch ein Lied der Massai aufschreiben lässt. ‚Pole pole‘ ist auch hier die Devise, denn zunächst muss jemand geholt werden, der schreiben kann. Vielleicht werden wir dieses Lied bald in Tübingen hören können?

Montag, 25. Aug. 2014 – BESUCH BEIM Kilimanjaro Christian Medical Centre KCMC

Das KCMC wurde 1971 gegründet und war bis 1992 staatlich. Seit 1992 wird es kirchlich geführt, der Staat zahlt jedoch Personal. Es ist eines der vier größten Krankenhäuser in Tansania. Angeschlossen sind auch Ausbildungsstellen bzw. -schulen und eine Universität, in der Studenten aus ganz Afrika ausgebildet werden. Es gibt eine Spezial-Abteilung für Albinismus und entsprechende Aufklärungsarbeit. Nach einer Begrüßung und Einführung durch den Verwaltungsdirektor bekommen wir eine Führung durch die Klinik. Wir besichtigen die Abteilungen für Orthopädie, Physiotherapie und für Ergotherapie, eine Station der Urologie, die Entbindungsstation und die Notaufnahme sowie die Werkstatt für alle orthopädischen Hilfsmittel und Prothesen. Es gibt viel Interessantes zu sehen und zu erfahren, aber die Zeit läuft uns davon. Wir erfahren, dass es etwa 20 Geburten pro Tag im Krankenhaus gibt. Die AIDSRate sei rückläufig von 5,7% auf derzeit 3,2%.

Montag, 25. Aug. 2014 – BESUCH BEI NAFGEM (NETWORK AGAINST FEMALE GENITAL MUTILATION)

Cornelia hat sich über Ingrid Meyerhöfer um den Kontakt zu dieser seit 15 Jahren bestehenden Nichtregierungsorganisation bemüht und einen Besuch vereinbart, an dem 8 Gruppenmitglieder teilnehmen. Wir finden die beiden Büroräume von NAFGEM im dritten Stock eines zentralen Gebäudes in Moshi und werden in eines der beiden kleinen Büros gebeten. Der tansanische Arzt Francis Romani Selasini, der seit kurz nach der Gründung dabei ist, gibt uns einen ersten, von unseren vielen Fragen unterbrochenen Überblick über die Arbeit, später kommt Honorata Raymond Nasuwa dazu, sie ist Projektmanagerin bei NAFGEM und koordiniert die Außeneinsätze und die beiden Schutzhäuser für Mädchen. Beide besuchen Tübingen am 10. September, am 11.9.14 erscheint im Tagblatt ein ausführlicher Zeitungsartikel: „Schutzhäuser für die Mädchen“ mit Angabe eines Spendenkontos.

NAFGEM ist zuständig für die Regionen Kilimanjaro und Manyara ferner für die Regionen Tanga und Arusha und wurde 1998 gleichzeitig mit dem gesetzlichen Verbot zur Genitalverstümmelung gegründet. Die NGO hat 10 hauptamtliche und ca. 100 ehrenamtliche Mitarbeiter und versucht durch Aufklärungsarbeit in den Dörfern die Anzahl der Beschneidungen zu verringern. Gleichzeitig führt NAFGEM verschiedene Projekte durch, in denen Frauen etwas Geld verdienen können, um ihren Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen und betreibt zwei Schutzhäuser für geflohene Mädchen.

Zu Beginn ihrer Arbeit hat NAFGEM mithilfe von Radiosendungen und Plakaten, die Ingrid Meyerhöfer, eine Tübinger Grafikerin, gestaltet hat, auf das Problem der weiblichen Beschneidung aufmerksam gemacht und ist damit auch sehr bekannt geworden. Der Erfolg ihrer Arbeit lässt sich in Zahlen ausdrücken: Bei den Chagga und Pare waren 1998 35% der Mädchen beschnitten, nun 21,7%. In Tansania ist der durchschnittliche Anteil seit 1998 von 18 auf 15 % gesunken. 2005 waren in der Region Lake Manyara 88%, in manchen Dörfern sogar 100% beschnitten, denn es handelt sich um eine starke Tradition, die die Beschneidung zur Voraussetzung für eine Heirat macht. Nun sind 70,8% der Mädchen beschnitten.

Bei der Aufklärungsarbeit wird versucht, zuerst mit dem Dorfchef zu reden, drastische Vergleiche werden gezogen: Beschneidung bei Mädchen ist so, als ob den Jungen der Penis abgeschnitten wird. Aufklärung ist auch deshalb wichtig, weil die Menschen auf den Dörfern die Genitalorgane in der Regel nie sehen. Beschnitten werden Mädchen zwischen 8 und 15 Jahren ohne Anästhesie, inzwischen geht der Trend zur früheren Beschneidung, ein Kleinkind wurde bereits mit 18 Monaten beschnitten.

NAFGEM besitzt einen Torso mit drei verschiedenen Modellen des weiblichen Unterleibs. Francis zeigt anhand dieser Modelle die verschiedenen Formen der Beschneidung, wir hören still zu: – Bei den Chagga und Pare wird die SUNA praktiziert, indem die Spitze der Klitoris abgeschnitten wird. Sie gilt als unrein, wird für Infektionen und Pilzerkrankungen verantwortlich gemacht und es heißt, dass Neugeborene sterben, wenn sie die Klitoris bei der Geburt berühren. – Bei den Massai werden aus dem gleichen Grund Klitoris und äußere Schamlippen entfernt. NAFGEM setzt als Erklärung dagegen, dass alle Organe ihren Nutzen haben und dass eine Beschneidung Verletzungen fördert, die wiederum die Ansteckung mit AIDS oder Hepatitis wahrscheinlicher machen. – Ein dritte, glücklicherweise seltenere Form (1%) ist die Infibulation (Pharaonic type), bei der die Klitoris, sowie die äußeren und inneren Schamlippen entfernt und dann die Scheide bis auf eine sehr kleine Öffnung zugenäht wird. Diese Form wird eher in Äthiopien und Somalia praktiziert (s. Waris Dirie: Wüstenblume).
– Der 4. Typ umfasst alle weiteren Formen wie das Ausreißen von Klitoris und Schamlippen, Piercing etc.

Francis zeigt uns auch einen Koffer, in dem sich unterschiedliche eingesammelte Beschneidungsinstrumente befinden. Wir machen Fotos, aber gucken lieber nicht so genau hin.

NAFGEM kooperiert mit den christlichen Kirchen und dem Islam, wurde unterstützt von Misereor, DIFÄM, der deutschen Botschaft in Tansania etc., Norwegen und der japanischen Partnerstadt, muss aber immer wieder neue Geldgeber finden, um die Arbeit weiterführen zu können.

Mit der gewonnenen Erfahrung hat sich der Ansatz verändert. NAFGEM setzt inzwischen mehr auf empowerment von Frauen, da in beschneidenden Gruppen die Männer dominant sind. Die Väter suchen einen Bräutigam aus und die Mütter müssen ihre Töchter auf die Hochzeit vorbereiten, wozu auch die Beschneidung gehört. Verdienen Frauen ihr eigenes Geld, können sie z.B. die Beschneiderinnen bestechen, die Beschneidung nicht durchzuführen. Durch kleine Verdienste beim Herstellen von mit Honig versetzter Seife mit antibakterieller Wirkung, denn die Klitoris wird für die häufigen Pilzerkrankungen (lawa lawa) durch mangelnde Körperhygiene verantwortlich gemacht, erhalten sie eine größere Selbständigkeit Ein Aufdruck auf dem Seifenbehälter ruft dazu auf, auf die Beschneidung zu verzichten: „Fight FGM, give education to your child!“ Um Unterweisung zur Körperhygiene geben zu können, wünscht sich NAFGEM eine waschbare Babypuppe.

Obwohl das gesetzliche Heiratsalter auf 18 Jahre festgelegt ist, mit Sondergenehmigung auf 15 Jahre, werden Mädchen oft bereits mit 8 Jahren verheiratet. NAFGEM setzt sich daher auch für eine klare Gesetzesregelung ohne Ausnahmen ein.

Anfangs sollten die bisherigen Beschneiderinnen umgeschult werden und traditionelle Geburten betreuen, was jedoch von der Regierung nicht unterstützt wurde. Die Regierung will, dass alle Geburten in Krankenhäusern stattfinden, wo die Kinder nachkontrolliert werden können. Da die Mütter sich bei einer Beschneidung strafbar machen, meiden sie jedoch später mit ihren Kindern auch bei Notfällen die Krankenhäuser, was natürlich ein Dilemma darstellt.

NAFGEM setzt inzwischen auf ein Team von ‚educated trained and changed girls‘. Denn wenn die Beschneidung bereits erfolgt ist, können sie diese immerhin bei ihren eigenen Kindern verhindern. Ihre Vision ist der Aufbau von Berufsbildungszentren für Mädchen, die z.B. Seife herstellen, Bändchen knüpfen, nähen, und die sich selbst tragen sollen. Auch jetzt schon erhalten die Frauen 90% des Erlöses ihrer Arbeit.

NAFGEM betreibt zwei Schutzhäuser, in die Mädchen vor Beschneidungen flüchten können und arbeitet eng mit der Polizei zusammen. Die Mädchen werden dann in Schulen oder Waisenhäusern untergebracht und können nur unter Polizeischutz zu kurzen Besuchen in ihre Dörfer zurückkehren. Ließe man sie länger dort, bestünde die Gefahr einer Beschneidung.

Am Schluss unseres Besuchs übergibt Cornelia noch einige Geschenke (Flyer von Tübingen, kleine Kosmetikpröbchen) und erzählt noch einmal von der neuen Städtepartnerschaft. Sie erwähnt, dass wir Ingrid Meyerhöfer kennen und nun ist das Eis gebrochen. Es gelingt Cornelia nach ihrer Rückkehr auch, Francis und Honorata, die auf einer Europareise sind, nach Tübingen einzuladen und das Tagblatt zu einem Artikel zu motivieren (s.o.). Wir kaufen noch einige Taschen und andere Handarbeiten zu einem Preis, der eine Spende an NAFGEM enthält.

Dienstag, 26. August 2014 – Besuch auf der KAHAWA SHAMBA (Kaffeeplantage) der Kilimanjaro Native Co-operative Union (1984) Ltd. (KNCU )5

Zum ersten Mal registriert wurde die älteste Kooperative Afrikas im Jahr 1933. KNCU vermarktet den Kaffee von über 150.000 Kleinfarmern, die Kaffeeanbau in Mischkultur betreiben. Die Kooperative garantiert für die weißen getrockneten Bohnen einen Preis von 2000 TSH (weniger als einen Euro). Mischkultur (intercropping bzw. agro-forest) erlaubt Bio-Anbau ohne Pflanzenschutz: Die Kaffeepflanzen stehen in großen Abständen unter Bäumen und Bananen, darunter Stickstoff sammelnde Bohnen und Hülsenfrüchte, dazwischen Mais und Zuckerrohr. Die Düngung erfolgt mit Rinder- und Ziegenmist. Wir besuchen ein weitläufiges Dorf mit 2051 Einwohnern und vielen kleinen landwirtschaftlichen Gehöften.

Über 1000 Einwohner betreiben Kaffeeanbau in Mischkultur, die anderen bauen Bananen und andere Feldfrüchte an, um sie auf dem eigenen Dorfmarkt zu verkaufen. In der Nähe des Welcome Centres befindet sich auch die Kaffeesammelstelle für die weißen trockenen Bohnen. Wenn auf der Kaffeeauktion in Moshi höhere Preise erzielt werden, erhalten die Kleinerzeuger nachträglich einen Zuschlag zum Garantiepreis.

Unsere Gruppe wird aufgeteilt und von drei Kaffeepflanzern zu jeweils einer Kaffee anbauenden Familie geführt. Nach einem überraschend schönen Blick auf den nahen Kilimanjaro laufen wir in ca. 1500 m Höhe durch eine fruchtbare Agrarlandschaft und passieren einen herrlich vielseitigen und bunten Bauernmarkt (4x pro Woche im Dorf), wo es auch Viehfutter wie Maisschalen und Bikarbonat gibt, eine

kleine Bar und einige kleine Lädchen. Es heißt: „Wenn ihr Chagga seht, sind dahinter Bananen“, roh, gekocht, gebraten. Genauso ist es auch.

Auf den kleinen Gehöften wird in Mischkultur und ohne Pflanzenschutz Arabica-Kaffee angebaut (keine Robusta-Sorten), der wohl Ende des 19. Jh. von Engländern aus Äthiopien eingeführt worden ist. In der fruchtbaren Vulkanerde, von Bäumen und Bananen beschattet und mit Stickstoff sammelnden Bohnen unterpflanzt, gedeiht er prächtig. Auch Mais und Zuckerrohr wird dazwischen gepflanzt.

Wie funktionieren der Anbau und die Ernte? Unser Guide Joseph zeigt uns den Weg vom Sämling bis zum gerösteten Kaffee, den wir am Ende genüsslich trinken: Jeweils ein getrockneter weißer Samen wird mit der Kerbe nach unten in ein Pflanzgefäß (hier gekürzte Wasserflaschen) gegeben. Nach 41-50 Tagen geht die Saat auf und die beiden Keimblätter erscheinen. Alle vier Wochen kommt ein Blattpaar hinzu und nach 8-12 Monaten wird die junge Kaffeepflanze auf der Shamba ausgepflanzt. In der Zwischenzeit wird Rindermist gesammelt, mit Erde vermischt (50:50) und in das Pflanzloch gegeben. Jede Pflanze erhält 20 kg Kuhdung oder auch eine Mischung aus Kuh- und Ziegenmist. Diese Mischung wird mindestens einen Monat vor der Regenzeit eingebracht, damit sich Dung und Erde gut mischen. Die Kaffeepflanzen stehen hier in der Mischkultur im Abstand von 3 Metern. Nach 4 Jahren kann man die erste Ernte erwarten, die beste Ernte wird bei 25-30jährigen Pflanzen erzielt, aber bis zu 50 Jahre alte Pflanzen tragen noch. Die Befruchtung der weißen Blüten erfolgt durch kleine Bienen, „große seien zu aggressiv“ (wir interpretieren, dass hier auch Bienenhaltung kleiner Bienenarten praktiziert wird). Am liebsten mag Kaffee den Schatten von Bananenpflanzen, deren Blätter auch bestes Viehfutter sind. In Monokulturen beträgt der Abstand zwischen den Kaffeepflanzen nur 1 Meter, die Pflanzen müssen dann aber bewässert werden, was bei der Mischkultur wegen der Beschattung nicht notwendig ist. Geerntet wird zwischen August und Januar. Da die Beeren nicht alle auf einmal reifen, müssen die roten Beeren immer wieder einzeln mit der Hand gepflückt werden (picking season).

Die Kaffeeverarbeitung beginnt auf jedem einzelnen Gehöft, denn dort gibt es neben einem Wasserhahn im Freien und einer Energiesparlampe in der Hütte auch eine Art Fleischwolf, mit dem die rote Fruchtschale durch Quetschen von der weißen Bohne getrennt wird. Die drei Kinder einer Tübinger Familie, die mehrere Monate ihres Sabbatjahres in einem Straßenkinderprojekt in Moshi verbringen und sich für diesen Tag uns angeschlossen haben, haben viel Spaß beim Kurbeln an diesem Gerät, das die rote Pulpe ausspuckt. Die weißen Bohnen werden 24 Stunden gewässert und damit fermentiert, anschließend wird der Schleim abgewaschen und sie werden auf Gestellen zum Trocknen ausgelegt, die wegen er besseren Luftzirkulation mindestens einen Meter über dem Boden angebracht sein müssen und nur mit sauberen Händen berührt werden dürfen, da sie leicht Gerüche von Zwiebeln etc. annehmen. Zuvor werden taube weiße Kaffeebohnen aussortiert. Dabei gilt für Arabica-Sorten: pick and pulp, select, wash, dry und für andernorts angebaute Robusta-Sorten: dry first.

Nach der Trocknung werden die weißen Schalen durch Stampfen in einem großen Mörser von den Kaffeebohnen entfernt, die Schalen durch Werfeln getrennt, und die gewonnenen Bohnen werden wegen der unterschiedlichen Röstzeiten nach Größe sortiert. Manchmal gibt es Bohnen mit paper oder silver skin, also Farbabweichungen, die aber keine Qualitätseinbuße darstellen. Joseph röstet für uns in einem Tongefäß die gewonnenen Kaffeebohnen über einem kleinen Holzfeuer. Nach ca. 15 Minuten entsteht der typische Geruch und er muss aufpassen, dass er genau den richtigen Zeitpunkt abpasst. Nun werden die gerösteten Bohnen wieder im Mörser zerstampft und zu feinem Pulver vermahlen. Die Kaffeebäuerin bringt kochendes Wasser zum Aufgießen, Kaffeebecher und Zucker …hm, lecker.

Natürlich wollen wir noch wissen, warum fast nur grüner Rohkaffee exportiert und bei uns geröstet wird. Joseph nennt uns als Gründe die in unterschiedlichen Ländern bevorzugten unterschiedlichen Röstungen, die auf sechs Monate begrenzte Haltbarkeit gerösteten Kaffees und die höhere Einfuhrsteuer von geröstetem Kaffee gegenüber Rohkaffee. Letzteres könnte man allerdings ändern.

Zum Abschluss unseres Ausflugs zu den Kaffeepflanzungen bringt uns der Bus zum Union-Coffeehouse. Hier genießen wir Kaffee-Spezialitäten vom Feinsten und diverse leckere Kuchen. Es gibt auch Eis. Hierher kommen wir auch später gerne nochmals wieder. Der Weg zum Hotel ist zu Fuß nicht weit.

Wir planen einen Besuch in der Mössinger Kaffeerösterei, um nachzufragen, warum der Moshi-Kaffee so viel teurer ist als die üblichen fair gehandelten Biokaffees.

Mittwoch, 27. August 2014 Besuch bei der MWERENI-Schule für Blinde und Albinismus

An unserem letzten gemeinsamen Tag in Moshi besuchen wir am Vormittag die bereits 1943 mit 6 blinden Schülern gegründete Schule, die seit 1996 als reguläre staatliche Schule mit 620 Schülerinnen und Schülern, darunter 49 sehbehinderten und blinden und 31 Kindern mit Albinismus weitergeführt wird. 80 Kinder, meist Waisen, leben in einem Internat mit freundlich gestalteten neu renovierten 4Bett-Zimmern. Die Kinder können 3 Jahre die Vorschule besuchen, werden mit 7 Jahren eingeschult und legen mit 14 ihre Prüfung ab, danach können 96%! weiterführende Schulen besuchen (für Blinde gibt es aber noch keine Möglichkeit). Es handelt sich um multiple choice-Prüfungsaufgaben, die zentral vom National Examination Council entwickelt werden. Die Schule ist zweizügig und hat 14 Klassen mit je ca. 45 Kindern. Die Kinder werden von 27, darunter 4 blinden Lehrern unterrichtet. Die Zulassungsauswahl erfolgt nach dem Prinzip „First come, first serve“. Seit vor kurzem für 117.000 USD eine 850 m lange Mauer um das Schulgelände gezogen wurde fühlen sich alle Kinder sicherer und lernen besser.

Anmerkung: In einer englischsprachigen tansanischen Zeitung (Citizen) war zu lesen, dass es wieder zunehmend Übergriffe auf Albinos gäbe und die Politik dringend etwas unternehmen müsste. Körperteile von Albinos seien insbesondere vor den in Kürze stattfindenden Regionalwahlen und im kommenden Jahr vor den Präsidentschaftswahlen sehr begehrt, da sich der Besitzer durch sie mehr Erfolg und Geld verspricht. Dennoch erwarte man gerade von den Politikern hier keine Verbesserung, denn vermutlich steckten gerade sie hinter den Übergriffen.

Erstaunlich ist jedenfalls, dass es hier bereits Inklusionsklassen gab, lange bevor dies bei uns praktiziert wurde.

Die Schule betreibt ein Gärtnereiprojekt mit Gemüseverkauf, ein Catering-Projekt, hat ein Health Centre, in das regelmäßig eine Ärztin und ein Zahnarzt kommen und möchte demnächst sogar eine kleine Krankenstation betreiben, Geräte sind bereits vorhanden, aber noch verpackt. Auch gibt es einen von Schweden gespendeten Computerraum mit neuester barrierefreier Ausstattung und Technik. Es gibt auch seit 2006 einen PC-Arbeitsraum mit einem Kopierer für Brailleschrift, der wohl morgens vor dem gemeinsamen Unterricht oder am Nachmittag von blinden Schülern genutzt werden darf, eine neue Ausrüstung oder Aufrüstung ist nicht in Sicht.

Wir besichtigen das Landwirtschaftsprojekt, zu dem auch 3 Kühe und 1 Kälbchen gehören und eine Küken-Aufzucht. Zwei Lehrer sind hierfür zuständig und auch die Klassen helfen beim Tomaten-, Okra-, Bohnen-, Mais- und Spinatanbau. Der Ertrag wird für die Internatskinder verwendet bzw. verkauft. Die Schule verfügt über einen 100.000 l Wassertank, das Wasser wird aus einem Bohrloch auf dem Grundstück gefördert.

Mica Fingas vom Tübinger Jugendgemeinderat hat die Schule bei der Vertragsunterzeichnung besucht und kümmert sich um Partnerschaften.

Jacky und Reinhard laden uns alle zu einem Mittagessen auf die Shamba von Jackys Eltern in Uru am Hang des Kilimanjaro ein, wo sie ein eigenes Gästehaus bewohnen, wenn sie dort die Schulferien verbringen. Alle zusammen haben für unsere große Gruppe gekocht und bewirten uns mit einem wunderbaren tansanischen Buffet, bei dem nichts fehlt, es gibt alles von Ugali über Gemüse, Fleischsoße und Obst sowie Soft Drinks. Jackys Eltern und auch das Brautpaar Mary und John nehmen teil. Sybille und Ursula würdigen diejenigen der Gruppe, die für Teile des Programms verantwortlich waren mit einem Luftballon, einem Keks und einem Erfrischungstüchlein, eine sehr nette Geste im Namen der Gruppe bei unserer letzten vollständigen Zusammenkunft.

Anschließend laufen wir ein sehr heißes Wegstück bergauf zur MNINI-Schule in Uru, wo 490 Schülerinnen und Schüler an 2 Schulen von 12 Lehrern unterrichtet werden. 40 Kinder sitzen in jeder Klasse, in den Kindergärten sind die Gruppen noch größer. Die Unterrichtsfächer sind, Mathematik, Naturwissenschaften, Politik, Geografie, Sozialkunde, Geschichte, katholische Religion, wohl auch Kisuaheli. Nur 2 Muslime besuchen die Schule. Zweimal im Jahr werden alle Eltern eingeladen und die grades bekannt gegeben (Zeugnisse). Die ersten vier Klassen können wiederholt werden, die 5.-7. Klasse dagegen nicht. In diesem Fall verlassen die Kinder die Schule ohne Abschluss und es bleibt nur eine Privatschule oder eine Ausbildung. Es besteht Schulpflicht, alle Kinder tragen eine Schuluniform und alle Mitbürger sind verpflichtet, ein Kind in die Schule zurückzubringen, das die Schule schwänzt. Auch diese Schule betreibt einen Selbstversorgergarten, in dem die Eltern mithelfen müssen.

Wir fragen nach der Höhe des Lehrergehalts: Es beträgt 300-450.000 TSH (ca. 135-200 Euro).6 Die Eltern müssen Schuldgeld bezahlen und sich darüber hinaus an den Sicherheitskosten (watchmen), dem Essen, dem Lohn für zwei Köchinnen und sogar an den Gebäudekosten beteiligen. Trotzdem gibt es nicht genügend Schulbücher, 3-5 Schüler müssen sich ein Buch teilen. Ein Schulbuch kostet ca. 8000 TSH (ca. 3-4 Euro).

Reinhardts Schüler in der Hechinger Berufsschule haben übers Jahr Pfandflaschen auf dem Schulgelände gesammelt und ca. 850 Euro erlöst. Reinhardt hat in Moshi für 1 Mio. TSH (etwa die Hälfte des Betrages) Schulbücher gekauft, mehr gab es nicht zu kaufen, und sie der Schule in drei großen Kisten mitgebracht. Er übergibt sie den Schülern mit einem Quiz mit Fragen an die tansanischen Schüler und die deutsche Besuchergruppe („Nenne fünf Städte in Tansania“). Das restliche Geld soll hinterlegt und nach und nach für weitere Bücher verwendet werden. Auf dem Schulgelände wird anschließend ein Dokumentationsfoto für die Spenderschule in Hechingen gemacht. Die Kinder halten ein Plakat hoch, auf dem steht „ASANTE HECHINGEN“.

Zurück in Moshi erwartet uns im Hotel Zebra ein Minibus, mit dem 14 Teilnehmer der Gruppe nach NKWESEKO, dem Ausgangspunkt unserer beiden Trekking-Touren an den Westhang des Kilimanjaro gefahren werden. Christa, Madelaine und Fred beginnen am nächsten Tag den Aufstieg auf den Kilimanjaro, Bernhard ist bereits geschäftlich Richtung Sansibar aufgebrochen und Familie Jacky, Reinhardt und Familie genießen noch die letzten Ferientage in ihrer tansanischen Familie.

1 Mehr zum Friendship-Trail in einem eigenen Bericht. Siehe auch: Ernst Schumacher und Hans-Jörg Bahmüller: Kilimanjaro Friendship Trail – Gesundheits- und Pilgerweg am Kilimanjaro, ISBN 978-3-9816404-0-3.
2 Mehr zu Bernhard Bendel, katholischer deutscher Priester und Missionar, 1908-1980, unter http://www.dacb.org/stories/non%20africans/bendel_bernhard.html
3 Anmerkung: In Arusha haben wir im Vorüberfahren ‚auf der grünen Wiese‘ ein solches neu errichtetes Shopping Village gesehen, das völlig allein lag, hübsch anzusehen war, aber nur mit einem Auto erreichbar schien und sich vermutlich in erster Linie an Europäer richtete. Es wirkte unbesucht.
4 Tansanit ist eine blaue Varietät des grauen bis grünlichen Minerals Zoisit. Er wird ausschließlich als Schmuckstein verwendet. Die ersten Funde des transparenten, purpur-bläulich bis lilafarbenen Tansanits gab es 1967 im Norden Tansanias. Bekannt wurde der Stein erst durch den New Yorker Juwelier Tiffany. Das einzige abbauwürdige und kommerziell genutzte Vorkommen an hochwertigen Tansanit-Kristallen ist auch heute noch in den Gilewy Hills bei Arusha in Tansania. Die aktuellen Funde erreichen allerdings nur mehr selten die herausragende Qualität früherer Jahre (Vgl: https://de.wikipedia.org/wiki/Tansanit).
5 http://coopcoffees.com/what/trading-partners/kncu-tanzania/kncu
6 Auf der Safari erfahren wir später, dass ein driver guide 250-600.000 TSH plus ein hohes Trinkgeld in USD erwarten kann, eine ungleich bessere Bezahlung.